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Fakultät für Humanwissenschaften

Neue Forschungsgruppe bewilligt

29.06.2022

Wie muss Wissen vermittelt werden, damit es lange erhalten bleibt und flexibel eingesetzt werden kann? Diese Frage steht im Mittelpunkt einer neuen Forschungsgruppe. Ihr Sprecher ist der Würzburger Psychologe Tobias Richter.

Wird der Prozess des Lernens gezielt anspruchsvoll gestaltet, ist die Chance hoch, dass auf diese Weise nachhaltiges Wissen das Ergebnis ist.
Wird der Prozess des Lernens gezielt anspruchsvoll gestaltet, ist die Chance hoch, dass auf diese Weise nachhaltiges Wissen das Ergebnis ist. (Bild: gpointstudio / iStock.com)

Viele kennen das Phänomen aus eigener Erfahrung aus ihrer Schul- oder Studienzeit: Kurz vor der Prüfung wird auf Teufel kommt raus gelernt, kurz nach der Prüfung ist ein Großteil des Gelernten wieder vergessen. „Bulimielernen“ nennen manche dieses Verhalten auch – und eines ist klar: Besonders nachhaltig ist diese Form des Lernens nicht.

4,2 Millionen für die kommenden vier Jahre

Wie es anders geht, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Lernen nachhaltiges Wissen erzeugt, auf das man noch lange zugreifen kann: Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine neue Forschungsgruppe, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jetzt bewilligt hat. Ausgestattet mit rund vier Millionen Euro will sie in den kommenden vier Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung effektiver Lehr-Lernszenarien und einer Theorie des nachhaltigen Lernens in Bildungskontexten leisten. Eine Verlängerung um weitere vier Jahre ist möglich.

Sprecher der Gruppe ist Professor Tobias Richter, Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie IV der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Weiterhin daran beteiligt sind Forscherinnen und Forscher der Universitäten Kassel, Bochum, Duisburg-Essen, Freiburg, Gießen, Osnabrück, Passau, Tübingen und der TU München.

Wenig Forschung zum nachhaltigen Lernen

„Vieles von dem, was in der Schule gelernt wird, kann bereits nach relativ kurzer Zeit nicht mehr aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. Wir verstehen nachhaltiges Lernen als eine Form des Lernens, das einem schnellen Vergessen des erworbenen Wissens entgegenwirkt und Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt, das erworbene Wissen auch später noch anzuwenden“, beschreibt Richter den Forschungsgegenstand. Im Idealfall bleibt dieses Wissen ein Leben lang erhalten und kann bei Bedarf situationsbezogen und flexibel eingesetzt werden. Solche Art von Wissen zu vermitteln sei ein wichtiges Ziel von Bildung.

In der Psychologie und den Bildungswissenschaften ist nachhaltiges Lernen daher auch eines der zentralen Themen. Da mag es überraschen, dass sich die experimentelle Lehr-Lernforschung bislang fast ausschließlich auf die Untersuchung von Lernergebnissen innerhalb relativ kurzer Zeiträume konzentriert hat. Zudem sind viele Studien im Labor durchgeführt worden. Allerdings sind Laborexperimente zu Bedingungen, die den Lernerfolg kurzfristig fördern, nur eingeschränkt auf das langfristige Lernen in realen Umgebungen übertragbar. „Es gibt leider kaum systematische Forschung – geschweige denn eine umfassende Theorie –, aus der sich Empfehlungen ableiten ließen, wie Lernen und Unterricht in der Schule gestaltet werden sollten, um nachhaltiges Wissen zu schaffen“, sagt Richter.

Wünschenswerte Erschwernisse verbessern den Lernerfolg

Die Forschungsgruppe soll nun dazu beitragen, diese Wissenslücke zu schließen. Dafür stützt sie sich auf ein Rahmenmodell, das die Forschung zu sogenannten „wünschenswerten Erschwernissen“ beim Lernen mit dem Prinzip des „sinnvoll eingebetteten Lernens“ verbindet.

Wünschenswerte Erschwernisse? Wer sich jemals damit gequält hat, die Konjugation unregelmäßiger Verben des Lateinischen in seinen Kopf zu bekommen, wird sich wohl kaum dabei zusätzliche Hürden gewünscht haben. Tatsächlich erschweren solche wünschenswerten Erschwernisse zwar kurzfristig das Lernen, langfristig aber fördern sie das Behalten und den Transfer des Gelernten. „Forschungsergebnisse zeigen, dass es sinnvoll sein kann, den Prozess des Lernens gezielt anspruchsvoller zu gestalten, um die Lernenden kognitiv stärker zu aktivieren und dazu anzuregen, Lerninhalte tiefer zu durchdringen und miteinander zu vernetzen“, erklärt Tobias Richter.

Konzentration auf drei zentrale Effekte

In acht Projekten will die Forschungsgruppe die Rollen des Lernsettings, von Merkmalen der Lernenden und deren Interaktionen beim nachhaltigen Lernen untersuchen. Dabei konzentriert sie sich auf die Effekte von drei zentralen wünschenswerten Erschwernissen auf langfristiges Lernen und den Transfer:

Beim verteilten Lernen werden Übungen und Wiederholungen des Lernstoffs auf mehrere Lernphasen verteilt, statt den Stoff am Stück zu lernen.

Verschachteltes Lernen bedeutet, dass unterschiedliche Inhalte abwechselnd im Unterricht behandelt werden und nicht, wie üblich, in Form thematisch abgeschlossener Blöcke.

Beim Training des Abrufs werden Übungstests zum Beispiel in Form von Abfragen schon in der Lernphase genutzt, um Gedächtnisinhalte zu stärken und langfristig verfügbar zu machen.

Kombiniert werden diese Effekte mit dem „Prinzip des sinnvoll eingebetteten Lernens“. Dieses besagt, dass das Verstehen von Lerninhalten eine wichtige Voraussetzung für das langfristige Behalten ist. „Tatsächlich werden Informationen besser und nachhaltiger erinnert, je tiefer Lernende sie verarbeiten“, erklärt Richter.

In allen Projekten sind experimentelle Studien in verschiedenen Schulformen in den Fächern Biologie, Mathematik, Deutsch und Physik geplant. Dabei arbeiten Forscherinnen und Forscher aus Psychologie, Erziehungswissenschaften und verschiedenen Fachdidaktiken eng zusammen.

Kontakt

Prof. Dr. Tobias Richter, Universität Würzburg, Lehrstuhl für Psychologie IV
T: +49 931 31-83755, tobias.richter@uni-wuerzburg.de

Von Gunnar Bartsch

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