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Fakultät für Humanwissenschaften

Kein klares Ja zum assistierten Suizid

25.11.2022

Wie hoch die Zustimmung in der deutschen Bevölkerung zum assistierten Suizid ist, hängt stark davon ab, wie die Frage formuliert wird. Das zeigt eine neue Studie, deren Ergebnisse jetzt vorab veröffentlicht wurden.

Der assistierte Suizid ist in Deutschland umstritten. Eine neue Umfrage zeigt, dass die meisten Menschen differenziert darüber denken.
Der assistierte Suizid ist in Deutschland umstritten. Eine neue Umfrage zeigt, dass die meisten Menschen differenziert darüber denken. (Bild: artisteer / iStockphoto.com)

„Stellen Sie sich vor, dass eine Person an einer schweren Erkrankung mit starken Schmerzen leidet und bald sterben wird.  Würden Sie es befürworten, wenn dieser Person ein tödliches Medikament übergeben wird, das sie selbst einnimmt und an dem sie stirbt?“ Knapp 70 Prozent aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer repräsentativen Umfrage in Deutschland geben auf diese Frage die Antwort „Ja“. 18,6 Prozent würden sie verneinen. Der Rest sieht sich zu keiner Entscheidung in der Lage.

Ein klares Votum für den sogenannten „assistierten Suizid“ also? Nicht ganz. Formuliert man nämlich diese Frage ein wenig anders, fällt auch das Ergebnis anders aus.

Wenn es heißt: „Stellen Sie sich vor, dass eine Person an einer schweren Erkrankung mit starken Schmerzen leidet und bald sterben wird. Welche Alternative würden Sie eher befürworten?“, entscheiden sich gut 51 Prozent der Befragten für die Variante „Die Person erhält eine Behandlung, die ihre Schmerzen bis zu ihrem Tod deutlich lindert“. Und nur 31 Prozent geben der Alternative „Der Person wird ein tödliches Medikament übergeben, das sie selbst einnimmt und an dem sie stirbt“, ihre Zustimmung.

Studie der Deutschen Akademie für Suizidprävention

Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die jetzt als Preprint veröffentlicht wurde. Verantwortlich dafür ist die Deutsche Akademie für Suizidprävention (DASP); daran beteiligt war Professor Frank Schwab, Inhaber des Lehrstuhls für Medienpsychologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Das Ergebnis spiegelt nach Aussagen der Autoren Erfahrungen in der Praxis der Palliativmedizin wider, dass der Wunsch von Patienten nach dem assistierten Suizid abnimmt, wenn sie Alternativen erkennen und erfahren.

„2020 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass jeder, der sich freiverantwortlich für einen Suizid entscheidet, das Recht hat, eine Suizidassistenz in Anspruch zu nehmen. Dies gilt unabhängig von Erkrankung, Lebensalter und Motiv“, beschreibt Schwab den Hintergrund der jetzt durchgeführten Studie. In der Folge hätten zahlreiche Umfragen eine sehr große Zustimmung in der Bevölkerung für den assistierten Selbstmord gezeigt. „Von diesen Umfragen waren allerdings nur wenige repräsentativ. Darüber hinaus beschränken sie sich zumeist auf die Situation einer schwer erkrankten und sterbenden Person“, so der Psychologe.

Zustimmung sinkt je nach Schweregrad der Krankheit

Tatsächlich zeigt die DASP-Studie auch, dass die Zustimmung zum assistierten Suizid im Falle einer an Schmerzen leidenden sterbenden Person nicht einfach auf weitere Personengruppen übertragen werden kann. Im Fall tödlich erkrankter Menschen befürworten 80,5 Prozent der Befragten einen assistierten Suizid; bei „nur“ schwer, aber nicht tödlich Erkrankten sind es nur noch 37,6 Prozent.

Für Menschen in Lebenskrisen ohne Erkrankung sinkt die Zustimmung auf noch niedrigere Werte – je nachdem, wie alt diese sind: von rund zehn Prozent bei Älteren über vier Prozent bei Menschen im mittleren Lebensalter bis zu nicht einmal drei Prozent bei Jüngeren.

„Diese Antworten legen nahe, dass die vom Bundesverfassungsgericht eröffnete Möglichkeit des assistierten Suizids für nicht sterbende Menschen von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung nicht befürwortet wird“, lautet deshalb das Fazit der Studie. Das Ergebnis müsse nach Ansicht der Autoren in der Diskussion über die gesetzliche Regelung der Suizidhilfe berücksichtigt werden.

Die Studie

Die Studie lief im Rahmen des vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts „Förderung suizidpräventiver Kompetenz in Institutionen und Gesellschaft“ (suiKom).  Das Meinungsforschungsinstitut Infas hat dafür im September 2021 Telefoninterviews mit 1.023 Erwachsenen zu einem breiten thematischen Spektrum durchgeführt, in denen ein Block mit zehn Fragen zum Thema Suizid und assistierter Suizid enthalten war.

Ziel war es, Kenntnisse und Einstellungen der deutschen Bevölkerung zur Suizidalität zu erheben. Eine Wiederholung der Befragung ist nach drei Jahren geplant.

Originalpublikation

Perceptions in the German population of assisted suicide. Fiedler, Georg; Drinkmann, Arno; Schwab, Frank; Lindner, Reinhard. PsyArXiv Preprints, https://psyarxiv.com/pcnaq/

Kontakt

Prof. Dr. Frank Schwab, Lehrstuhl für Medienpsychologie, T: +49 931 31-82395, frank.schwab@uni-wuerzburg.de

Wo findet man Hilfe?

Wer an Suizid denkt oder glaubt, eine gefährdete Person zu kennen, sollte schnell handeln und sich Hilfe holen. Zum Beispiel bei der Telefonseelsorge unter den gebührenfreien Telefonnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.

Weitere Anlaufstellen sind die sozialpsychiatrischen Dienste der jeweiligen Stadt und Gemeinde, der Deutsche Kinderschutzbund oder die Deutsche Depressionshilfe.

Von Gunnar Bartsch

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